So soll eine klimaneutrale Schweiz 2050 aussehen

Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben im Juni das Ziel des Bundes bestätigt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Laut Studien ist es möglich, die Energieversorgung des Landes ohne fossile Brennstoffe zu sichern. Allerdings sind dafür erhebliche Verhaltensänderungen nötig, sagt ein Experte für Energiewende.

Die Schweiz soll bis 2050 nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstossen, als die natürlichen und künstlichen Speicher aufnehmen können. Dieses Ziel hat sich der Bund gesetzt. Im Juni haben die Stimmberechtigten dieses Ziel in einer Volksabstimmung deutlich angenommen. Doch viele Fragen bleiben offen.

Wie sieht eine Schweiz ohne oder mit sehr wenig fossilen Energien aus?

Ein Gebäude, das nur mit der Abwärme seiner Bewohnerinnen und Bewohner geheizt und mit Klappen als Klimaanlage gekühlt wird: Das Pilotprojekt "2226" in Luzern zeigt, wie die Architektur der Zukunft aussehen könnte.

Für seine Erbauer:innen hat das in der Schweiz einzigartige Gebäude nur Vorteile. "Der Energieverbrauch liegt bei einem Drittel eines herkömmlichen Gebäudes mit Heizung und Klimaanlage. Wir sparen Geld und reduzieren gleichzeitig den CO2-Ausstoss", sagte Geschäftsführer Thies Böke am Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.

Um das Klimaziel der Landesregierung zu erreichen, müssten in den nächsten 30 Jahren viele solche Häuser gebaut werden.

Gut isolierte Gebäude, die mit Wärmepumpen beheizt werden, Elektroautos und Lastwagen, die mit Wasserstoff fahren, der Ausbau von Solaranlagen, Windenergie und Maschinen, die unvermeidbare CO2-Emissionen abfangen: Mit einem Mix aus verschiedenen Massnahmen will der Bundesrat sein Ziel erreichen.

Der Bund versichert, dass die CO2-Emissionen aus Verkehr, Gebäudeheizung und -kühlung sowie Industrie mit heutiger Technologie und dem Einsatz erneuerbarer Energien um bis zu 95 Prozent gesenkt werden können. Auch andere Treibhausgase, vor allem in der Landwirtschaft, können reduziert werden.

Der Ausgleich der verbleibenden Emissionen soll durch natürliche CO2-Senken wie Wälder und Böden sowie durch Technologien erfolgen, die Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernen oder direkt dort, wo sie entstehen, etwa in Müllverbrennungsanlagen, abscheiden und dauerhaft speichern.

"Dieser Übergang wird kommen, ob wir wollen oder nicht. Das Erdöl wird früher oder später knapp werden. Europa hat keine andere Wahl, als auf erneuerbare Energien zu setzen", sagt Marc Muller, Ingenieur und unabhängiger Experte für die Energiewende.

Wenn man davon ausgeht, dass die Kosten viel höher sind, wenn nichts getan wird, wird sich die Politik trotz der langsamen demokratischen Prozesse in der Schweiz zusammenraufen und schnell an Lösungen arbeiten, glaubt Muller.

"Die Schweiz hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie schnell handeln kann, wenn sie unter Druck steht", sagt er. Dies werde ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Transition sein.

"Je schneller wir die Kontrolle über unsere Energieproduktion zurückgewinnen, desto geringer ist das Risiko, dass wir die potenziell verheerenden Folgen einer weltweiten Energieverknappung zu spüren bekommen", sagt Muller.

Ist die Versorgungssicherheit gewährleistet?

Ja, wenn man zwei Studien Glauben schenkt, die kurz vor der Abstimmung im Juni veröffentlicht wurden. Die erste Studie, die am 24. Mai von Fachleuten des Zentrums für Energiewissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) veröffentlicht wurde, kommt zum Schluss, dass dieses Ziel sowohl technisch als auch wirtschaftlich erreichbar ist. Der Weg dorthin führt über die Elektrifizierung von Verkehr und Raumwärme.

Diese Energiewende wird zwar den Strombedarf von heute 60 auf 80 bis 100 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2050 ansteigen lassen. Diese Nachfrage könne aber durch den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz und durch den Stromaustausch mit den Nachbarländern gedeckt werden, so die ETH-Forschenden.

Die zweite Studie, die am 30. Mai von Forschenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) veröffentlicht wurde, geht noch einen Schritt weiter: Sie schätzt, dass die Schweiz bis 2050 CO2-neutral werden könnte, ohne Strom importieren zu müssen.

Der Schlüssel dazu liege in der massiven Produktion von Solarstrom im Sommer und dessen teilweiser Speicherung in Stauseen für die Nutzung im Winter.

In diesem Szenario müssten etwa 60 % der Dächer des Landes mit Solarmodulen belegt werden. Auch die Produktion von Windenergie müsste im Winter erhöht werden.

Dieses Energiesystem der Zukunft würde nicht nur die Umwelt weniger belasten, sondern auch weniger kosten, so die Forschenden. Öl, Gas und Strom müssten nicht mehr importiert werden, was langfristig zu Einsparungen von 30% führen würde.

Müssen die Menschen dafür ihre Gewohnheiten ändern?

Ohne Zweifel. "Das wird in den Berichten nicht immer betont, aber wir können diese Ziele nicht ohne strenge Sparmassnahmen erreichen", sagt Muller. Derzeit gibt es zum Beispiel keine praktikable Alternative, um den Flugverkehr kohlestofffrei zu machen.

"Um alle Flugzeuge sauber fliegen zu lassen, bräuchte man 30% des weltweit produzierten Stroms. Das ist eine Unverschämtheit, wenn man bedenkt, dass nur ein Prozent der Weltbevölkerung dieses Verkehrsmittel regelmässig nutzt", so Muller.

In den Augen des Experten wird es auch notwendig sein, einen Teil der Industrieproduktion in unser Land zurückzuholen und die Importe aus Asien oder anderen Ländern drastisch zu reduzieren.

Andernfalls bestehe die Gefahr, dass andere Länder die Kosten der Transformation tragen müssten. "Aber das sagt man nicht gerne in einem Land, das seinen Wohlstand durch Freihandel und offene Märkte aufgebaut hat", sagt Muller.

Es wird auch darum gehen, die grosse Minderheit derer zu überzeugen, die bei der Abstimmung im Juni Nein gestimmt haben. "Bisher hat man die Ökologie so unerwünscht wie möglich gemacht", so Muller.

Der Experte plädiert dafür, Normen und Auflagen zu reduzieren, um den Zugang zu einem klimaneutralen Lebensstil angenehmer zu gestalten. "Man muss zum Beispiel viele Formulare ausfüllen, um seine Heizung zu ersetzen, während man 50-mal im Jahr ohne grossen Papierkram fliegen darf. Das muss sich ändern", betont er.

Sind auch andere Länder auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Laut der Plattform Net Zero Tracker haben 148 (von 198) UNO-Mitgliedstaaten angekündigt, klimaneutral werden zu wollen. Zusammen repräsentieren sie 88% der globalen Emissionen und 85% der Weltbevölkerung.

Die meisten wollen dieses Ziel bis 2050 erreichen. Einige Länder wie Finnland (2035) oder Deutschland (2045) sind jedoch ehrgeiziger. China und Russland, die zu den grössten Emittenten der Welt gehören, streben das Jahr 2060 an.

Das Vereinigte Königreich hat 2019 als erstes grosses Industrieland seine Verpflichtung zur Netto-Treibhausgasneutralität gesetzlich verankert.

Mit der Abstimmung in der Schweiz im Juni haben insgesamt 26 Länder die Klimaneutralität gesetzlich geregelt. Darunter Frankreich, Deutschland, Spanien, Dänemark, Japan und Südkorea.

"Kein Land hat die ideale Lösung gefunden, aber die nordischen Länder können uns inspirieren. Ich bewundere das dänische Beispiel, wo zwei Drittel der Windparks den Bürgerinnen und Bürgern gehören. So geht der ökologische Wandel Hand in Hand mit einer Demokratisierung der Energieinfrastruktur", sagt Muller.

Porträt einer klimaneutralen Schweiz

Machen die Klimakonferenzen noch Sinn?

Die Welt entfernt sich weiter davon, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht des UNO-Umweltprogramms. Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer. 

Eigentlich müssten die Emissionen weltweit rasant sinken, damit die Klimaerwärmung auf unter 2 Grad, wenn möglich auf 1.5 Grad, begrenzt werden kann – wie 2015 in Paris vereinbart. Doch die Lücke zwischen dem, was nötig wäre, um diese Klimaziele zu erreichen, und den tatsächlichen Emissionen ist weiter gewachsen. Das zeigt der neue Emissions Gap Report des Umweltprogramms der UNO (UNEP). 

Zwischen 2021 und 2022 sind die Treibhausgasemissionen weltweit um 1.2 Prozent gestiegen – auf einen neuen Rekordwert von 57.4 Gigatonnen, also 57.4 Milliarden Tonnen.

Zwar gehen die Emissionen in vielen Industrieländern zurück, auch in der Schweiz. Aber weil bevölkerungsreiche Länder wie Indien und vor allem China nach der Pandemie wieder deutlich mehr CO₂ ausstossen, ist dieser unerfreuliche Rekord zustande gekommen. 

Die Autorinnen und Autoren des Berichts haben die Versprechen und Ziele der Länder zusammengerechnet. Weltweit wurden bereits Massnahmen getroffen und weitere sind geplant. Sie schätzen, dass sich die Erde mit diesen Massnahmen bis Ende des Jahrhunderts um zwischen 2.5 und 3 Grad erwärmt. Das ist deutlich mehr als 2015 in Paris vereinbart wurde. Immerhin lagen die damaligen Prognosen noch bei einer Erwärmung um fast 4 Grad Celsius. 

Das Problem: Die bisherigen Massnahmen der Länder genügen in der Summe schlicht nicht. Viele Länder bauen zwar die erneuerbare Energieproduktion aus, vor allem jene aus Sonne und Wind. Gleichzeitig setzen sie nach wie vor auf Kohle, Öl und Gas.

Im Verkehr werden zwar immer mehr Elektrofahrzeuge auf die Strassen gebracht. Aber der klimaschädliche Flugverkehr hat praktisch wieder das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Kommt dazu, dass innerhalb der Länder ungleiche Entwicklungen auszumachen sind. Während die wohlhabende Bevölkerung ihren CO₂-Ausstoss auch in Industrieländern weiter gesteigert hat, sinkt er im Durchschnitt. 

Die Industrieländer trügen historisch nach wie vor grosse Schuld am Klimawandel. Das UNEP fordert diese Länder auf, selbst ehrgeiziger zu sein und die Länder des globalen Südens zu unterstützen. Damit sollen mehr Menschen dort einen Weg aus der Armut finden, ohne dass der Treibhausgasausstoss zunimmt.

Grüne Energie beispielsweise sei nicht nur klimafreundlich. Der Ausbau von Sonnen- und Windenergie sei auch günstiger als derjenige von fossilen Kraftwerken. Zudem bringe er mehr Jobs und sei weniger gesundheitsschädlich, heisst es im neuesten Bericht. 

Immerhin geht der UNEP-Bericht davon aus, dass die Emissionen weltweit vor 2030 ihren Höhepunkt überschreiten und dann sinken. Das hat vor allem damit zu tun, dass China den Ausbau von Sonnen- und Windkraftanlagen weitaus schneller voranbringt als bisher angenommen.

Sollten die Emissionen tatsächlich bald rückläufig sein, wäre das kein Zeichen zur Entwarnung. Es wäre aber der Beweis, dass Massnahmen im Kampf gegen den Klimawandel möglich sind und Wirkung entfalten. 

An der Klimakonferenz in Dubai, die am 30. November startet, sind die Staaten aufgefordert, genau solche ehrgeizigen Massnahmen zu ergreifen. Nur so könnten sie die wohl allerletzte Chance packen und das 1.5 Grad Ziel am Leben erhalten.

Ziele des Pariser Abkommens

Kapern Wirtschaftsvertreter die Bemühungen ums Klima?

Unter den 100'000 Teilnehmern vertreten viele die Wirtschaft. Das ist nicht unbedingt gut für Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel.

Fast 100'000 Frauen und Männer aus fast 200 Ländern sind an die COP28 nach Dubai gereist – vom Advisor (Berater) bis zur Youth Speaker (Jugendsprecherin). Genaue Zahlen gibt es zwar nicht, doch es ist offensichtlich, dass so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie noch nie aus der Privatwirtschaft stammen. 

In Dubai treffen sich die unterschiedlichsten Unternehmen, die irgendwie mit Klima-, aber immer mehr auch breiter mit Umweltschutz zu tun haben. Auch die Schweizer Finanzbranche ist prominent vertreten. 

Die Klimakonferenz habe den Charakter eines zweiten Weltwirtschaftsforums, eines WEFs, angenommen, meint zum Beispiel die Schweizer Staatssekretärin für Internationale Finanzfragen, Daniela Stoffel. 

Man stehe vor der Entscheidung, ob man den Klima- und Umweltschutz auch ökonomisch einschätzen wolle, sagt Stoffel. Schliesslich müssten am Ende Massnahmen ergriffen werden, um «eine Art von Natur erhalten zu können, die aus ökonomischer Sicht nötig ist – und die uns eine gemeinsame Zukunft auf dem Planeten sichert». 

Entsprechend sind Finanzprodukte, die Gewinn abwerfen, wenn die Umwelt geschützt wird, in der Branche zum grossen Thema geworden. Sie werden in Dubai verhandelt, diskutiert und verkauft. 

Neben der Vertreterin des Schweizer Finanzplatzes sucht auch der Projektmanager aus Kenia für sein Aufforstungsprojekt Geldgeber. Jonathan Muriuku von Restore Africa ist zuversichtlich, dass er sie hier findet. «Es gab viel Interesse an unserem Projekt an einem Forum mit Investoren gestern», sagt er.

Viele der Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter sind an der COP28 also gar nicht direkt an den Klimaverhandlungen der UNO beteiligt. Trotzdem sind sie nach Dubai geflogen. 

Die Vertreter der fossilen Energielobby haben keinen ambitionierten Klimaschutz zum Ziel, sondern eine Verzögerung der Verhandlungen. 

Bringt das den Klimaschutz voran? Ja und Nein, meint Stefan Salzmann. Er ist zuständig für Energie- und Klimapolitik beim Hilfswerk Fastenaktion und in Dubai als Beobachter. 

«Wenn die wirtschaftlichen Interessen den Zielen des Pariser Klimaabkommens entgegenlaufen, ist es kritisch für den Klimaschutz», sagt er. Insbesondere stellt Salzmann fest, dass die Lobby der fossilen Energien stark vertreten sei in Dubai. «Sie haben keinen ambitionierten Klimaschutz zum Ziel, sondern eine Verzögerung der Verhandlungen. Das ist nicht gut.» 

Wichtige Promotoren für erneuerbare Energien

Andererseits sei es gut, dass sich viele Unternehmen zum Beispiel im Ausbau der erneuerbaren Energien engagieren wollten. Sie machten an der COP28 Druck, dass die Staaten ein klares Bekenntnis zu mehr Klimaschutz abgeben. Dabei dürfe die lokale Bevölkerung allerdings nicht vergessen werden, betont der Hilfswerksvertreter. 

Klar scheint: Die reine Präsenz so vieler Vertreterinnen und Vertreter der Privatwirtschaft zeigt, dass Klimapolitik unterdessen alle Bereiche der Gesellschaft und auch der Wirtschaft betrifft und interessiert. Das war noch vor wenigen Jahren ganz anders.

Schaulaufen der Lobbyisten

CO2 vergraben: die Schweiz arbeitet mit Island zusammen

Es gibt erste erfreuliche Ergebnisse einer von der ETH Zürich geleiteten Studie über eine Technologie, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen.

Matthias Hug

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/deafening-blue-halibut_it_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Kohlendioxid einfangen und in die Tiefen der Erde zurückführen, wo es letztlich herkommt. Um die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren, wie es das CO2-Gesetz vorschreibt, reicht es nicht aus, erneuerbare Energien zu fördern, sondern wir müssen auch auf sogenannte negative Emissionstechnologien setzen. Die ETH Zürich hat eine Machbarkeitsstudie durchgeführt: "Wir haben untersucht, wie diese Technologien im grossen Massstab umgesetzt werden können, was genau der Schweizer Klimastrategie entspricht", erklärt ETH-Professor Marco Mazzotti, der seit zwei Jahren die vom Bund in Auftrag gegebene Forschung mit der Industrie koordiniert.

Um das Potenzial dieser neuen Methoden zu bewerten, so der Wissenschaftler, "untersuchten wir die Verwendung und dauerhafte Speicherung von CO2 in Abbruchbeton, der dann recycelt werden kann, oder die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid in geeigneten geologischen Formationen. Wir haben mit Island zusammengearbeitet, weil es dort einen Basalt gibt, der sehr reaktiv mit CO2 ist. Wenn es in Wasser gelöst injiziert wird, reagiert es schnell, mineralisiert und wird zu einer Art Stein".

Es sind solche Speicherungstechnologien, die sich als wirtschaftlich nachhaltig erwiesen haben und eine positive Klimabilanz aufweisen. "Das System zur Abscheidung, zum Transport und zur Speicherung von CO2 von der Schweiz nach Island beinhaltet natürlich Elemente, die Energie benötigen und indirekte CO2-Emissionen verursachen. Diese Emissionen müssen niedriger sein als das, was wir transportieren und lagern. Die Bilanz ergab einen Wirkungsgrad von 80 Prozent, also den Prozentsatz des tatsächlich aus der Atmosphäre entfernten CO2.

Die Schweiz war in diesem Jahr das erste Land, das CO2 zur Lagerung ins Ausland exportiert hat. Die neuen Technologien sind vielversprechend, aber das ist erst der Anfang, sagt Professor Mazzotti: "Als Forscher ist es meine Aufgabe, das, was wir in der Forschung gelernt haben, so schnell wie möglich in die Anwendung zu bringen. Wir unterstützen die Unternehmen, die diese Technologien in grösserem Massstab einsetzen wollen.

Sie ist auch eine politische Herausforderung. Die Schweiz wird, wie andere Staaten auch, rechtliche Rahmenbedingungen für den Transport und die Speicherung von CO2 entwickeln müssen. Es bleibt also noch viel zu tun. Auch die Arbeit der ETH-Forscherinnen und Forscher geht weiter: In einem nächsten Schritt wollen sie den Schweizer Untergrund daraufhin untersuchen, ob er Potenzial für die Einlagerung von Kohlendioxid bietet.

CO2 vergraben

Diese fünf Kipppunkte könnten unser Klima radikal verändern

In einem aktuellen Bericht stellen Forscherinnen und Forscher drohende Szenarien vor, die das Klima radikal verändern könnten. Doch so negativ wie es klingt, muss es nicht werden.

Seit den 2000er-Jahren diskutieren Klimaforschende über Kipppunkte im Erdsystem. Kippen diese, so das Konzept, sei diese Veränderung unwiderruflich. Dazu zählten die Forscherinnen und Forscher etwa die sehr starke Abholzung des Amazonas-Regenwaldes oder das Abschmelzen der Eisschilde am Nord- und Südpol. Ein neuer Bericht, der «Global Tipping Points Report», fasst nun den aktuellen Forschungsstand zusammen.

An dem Bericht haben mehr als 200 Forschende aus über 26 Ländern mitgearbeitet. Er wurde an der COP28 in Dubai vorgestellt.

Einen Kipppunkt kann man mit dem Bild eines Stuhls am Abgrund vergleichen. Man stelle sich vor, man sitzt auf einem Stuhl am Rand einer hohen Felskante, mit dem Rücken zum Abgrund. Man kippelt und fällt plötzlich nach hinten in die Tiefe. Eine grausige Vorstellung – die in der Analogie aber den sogenannten Kipppunkten entspricht. Erreichen wir mit unserem Verhalten (dem Kippeln) eine bestimmte Luft- oder Meerestemperatur oder Eisschmelze, lösen wir einen Kipppunkt aus. Sprich es gibt laut den Forschenden kein Zurück mehr.

Der Hauptautor des Berichts und Professor für Klimawandel, Tim Lenton, fügt hinzu: "Die Kipppunkte können verheerende Dominoeffekte auslösen, einschliesslich des Verlusts ganzer Ökosysteme und der Fähigkeit, wichtige Nutzpflanzen anzubauen, mit sozialen Auswirkungen wie Massenmigration, politischer Instabilität und finanziellem Zusammenbruch. 

Aber: Es gibt gemäss den Forschenden auch viele positive Kipppunkte, die dem Klimawandel entgegenwirken können. Sollten beispielsweise Elektrofahrzeuge die dominierende Verkehrsform werden, würden die Batterien günstiger, was wiederum mehr Speicherkapazität für denselben Preis ermöglichen könnte. Das wiederum würde den Kipppunkt für erneuerbare Energie begünstigen. 

"Point of no return"

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Weniger Wachstum: Was bringt "Degrowth" als Konzept gegen den Klimawandel?

Um der Herausforderung des Klimawandels zu begegnen, plädiert der Ökonomieforscher Timothée Parrique für Degrowth und den Übergang zu einer postkapitalistischen Wirtschaft.

Das Jahr 2023 wird das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. So die Einschätzungen von Klimaexperten der Vereinten Nationen. Einen entsprechenden vorläufigen Bericht stellte die Weltwetterorganisation an der Klimakonferenz COP28 in Dubai vor. Demnach lag die globale Durchschnittstemperatur schon bis Ende Oktober rund 1,4 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Das im Pariser Abkommen von 2015 festgelegte Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, erscheint vorerst zunehmend illusorisch.

Um den Klimawandel zu verlangsamen, vertreten einige Ökonomen das Degrowth-Konzept. So wie der französische Wirtschaftswissenschaftler Timothée Parrique. In der RTS-Sendung Géopolitis sagt er: "Wir stellen fest, dass eine wachsende Wirtschaft, d. h. wenn wir mehr produzieren und konsumieren, führt dies zu einer Vergrösserung des so genannten ökologischen Fussabdrucks. Wir müssen dabei über Treibhausgase sprechen, aber auch über die Verwendung von Metallen und Mineralien, den Wasserverbrauch, die Flächennutzung und natürlich die Auswirkungen der lokalen und globalen Umweltverschmutzung sowie die Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Wir müssen also unser heutiges Tempo drosseln."

Die wünschenswerteste natürliche Ressource ist die, die wir nicht nutzen müssen.

Für Timothée Parrique lebt die Menschheit auf "ökologischen Kredit" und muss Massnahmen ergreifen, um den weltweiten Verbrauch und die Produktion zu reduzieren. Der Forscher von der schwedischen Universität Lund hat 2022 ein Buch über Degrowth veröffentlicht. Er findet, dass Effizienzsteigerungen durch technologischen Fortschritt und Innovation die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf den Planeten verringern können, aber diese Lösungen reichten nicht aus. Er plädiert auch für "Vermeidungsstrategien" und betont, dass "die wünschenswerteste natürliche Ressource die ist, die wir nicht nutzen müssen". Timothée Parrique, der sein Modell als Postwachstum oder Postkapitalismus bezeichnet, hält es für notwendig, ein anderes System zu erfinden"

Susanne Stöckl

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/scary-dim-jellyfish_fr_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Seine Position stösst in der Fachwelt, die sich mit Umwelt- und Klimafragen beschäftigt, nicht nur auf Zustimmung. Viele Wirtschaftswissenschaftler:innen sind der Ansicht, dass es bereits Lösungen für diese Herausforderungen gibt. Kenza Benhima, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Lausanne und Direktorin des CREA-Instituts, nennt als Beispiel die Kohlendioxidsteuer, die Produkte mit hohem CO2-Ausstoss verteuert und gleichzeitig Steuereinnahmen bereitstellt, die die Regierungen umverteilen können, um die Menschen bei der Bewältigung dieser Veränderungen zu unterstützen. Sie nennt auch das Beispiel der Emissionszertifikate. Diese Lösungen funktionieren, sagt sie, müssen aber noch viel weiter verbreitet werden.

"Europa hat gerade das ETS [das Emissionshandelssystem der Europäischen Union] eingeführt, das die Emissionen recht effektiv gesenkt hat. Grossbritannien zum Beispiel hat einen vollständigen Übergang von Kohle zu Gas vollzogen. Dies dank der Kohlenstoffsteuer, die Kohle zu teuer und unrentabel macht. Wir sehen also Beispiele, bei denen es funktioniert, wir müssen einfach noch viel weiter gehen", sagt Kenza Benhima. Im Vereinigten Königreich sind die Pro-Kopf-CO2-Emissionen mit dem anhaltenden Wirtschaftswachstum gesunken, wie eine Analyse von Our World in Data zeigt. "Es wird nicht ausreichen, einfach nur umzuwandeln, hier und da eine kleine Steuer zu erheben, ein wenig mehr Recycling zu betreiben. Wir brauchen wirklich eine grosse Veränderung", erwidert Timothée Parrique.

Kenza Benhima stimmt mit den Degrowth-Befürwortern überein, dass eine Politik der starken Hand notwendig ist, denkt aber anders, was die umzusetzenden Massnahmen angeht: "So wie einige die törichte Wette eingehen, dass die Technologie uns retten wird, gehen die Degrowthisten die törichte Wette ein, dass die menschliche Natur uns verändern und die Revolution uns das gewünschte Ergebnis bringen wird. Meine Vision ist vielmehr, dass wir, wenn wir auch sehr ehrgeizige Ziele in Bezug auf den ökologischen Wandel haben, dennoch versuchen müssen, ihn mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Wirtschaft zu erreichen. Für mich ist das der Sinn von grünem Wachstum", erklärt sie.

Um den Übergang zu beschleunigen, müssen Verbraucher und Wählerinnen mobilisiert werden, so Kenza Benhima: "Wir müssen Opfer bringen für Menschen, die wir nicht kennen, Menschen, die in anderen Ländern leben, Menschen, die noch nicht geboren wurden. Und das ist die eigentliche Herausforderung". Der Weltklimarat IPCC schätzt, dass durch den Klimawandel bis 2050 jährlich 250'000 Menschen sterben werden, mehr als die Hälfte davon in Afrika.

Wir können uns sehr ehrgeizige Ziele für den ökologischen Wandel setzen, dabei aber versuchen, die Auswirkungen auf die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten.

Für Timothée Parrique muss ein neues Gleichgewicht gefunden werden. "Die Zahlen zur ökologischen Ungleichheit sind eindeutig. Die Emissionen des reichsten 1% der Weltbevölkerung entsprechen der gleichen Menge wie die Emissionen der ärmsten 66%. Es ist also klar, dass die wohlhabendsten Regionen den Gürtel künftig enger schnallen müssen, was den CO2-Ausstoss betrifft. Wenn wir den Ländern des Südens wirklich Handlungsspielraum eröffnen wollen, um eine möglichst nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssen wir die Ressourcen freisetzen, die derzeit von den Ländern des Nordens monopolisiert werden", schlägt der Forscher vor.

Nach Angaben des Global Carbon Project stiess China im Jahr 2022 am meisten CO2 aus, noch vor den Vereinigten Staaten und Indien. Die grössten Pro-Kopf-Emittenten sind jedoch Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Gastgeber der letzten COP waren, und Bahrain.