Die Regulierung des Wolfs in der Schweiz: Ein Blick auf eine hitzige Debatte

Angesichts der starken Ausbreitung des Wolfs in der Schweiz hat der Bundesrat beschlossen, ab diesem Winter eine drastischere Regulierung des Raubtiers zuzulassen - sehr zum Ärger von Naturschützern. Was sind die Argumente der einen und der anderen Seite? Wie viele Rudel sind im Land aktiv und welche Schäden richten sie an? Eine Bestandesaufnahme.

Mehr als 120 Jahre nach seiner Ausrottung kehrte der Wolf Mitte der 1990er Jahre in die Schweiz zurück. Er hat das Land auf natürliche Weise von Italien aus neu besiedelt. Während fünfzehn Jahren wurden in der Schweiz nur vereinzelte Exemplare oder Paare beobachtet. Es dauerte bis 2012, bis sich im Calanda-Massiv zwischen Graubünden und St. Gallen das erste Rudel bildete. Seitdem haben sich weitere Rudel in den Kantonen Graubünden, Glarus, Tessin, Wallis und Waadt niedergelassen.

Ende 2022 gab es 18 Schweizer Rudel und acht grenzüberschreitende Rudel mit einer Gesamtpopulation von 240 Wölfen. Dies geht aus der jährlichen Zählung der Stiftung Kora hervor, die sich auf die Ökologie von Raubtieren und das Wildtiermanagement in der Schweiz spezialisiert hat.

Der Anstieg der Population hat sich in den letzten Jahren beschleunigt. So hat sich 2019 ein erstes Rudel im Waadtländer Jura niedergelassen, und zwei oder drei weitere sind hinzugekommen. In mindestens 20 Kantonen, darunter Neuenburg, Freiburg, Bern und Jura, gibt es inzwischen Nachweise für die Anwesenheit von Wölfen.

Gemäss der neuesten Daten der Stiftung Kora (vgl. Karte unten) gibt es heute 32 Rudel (davon zehn grenzüberschreitende) und sechs Paare, die in der Schweiz leben. Nicht enthalten in diesen Zahlen sind einzelnen Tiere, die in den Alpen und entlang der Jurakette gesichtet wurden. Einige Tiere wagten sich sogar bis ins Unterland vor.

Mit der Zahl der Wölfe hat auch die Zahl der getöteten Nutztiere zugenommen. Im letzten Jahr fielen dem Wolf fast 1500 Tiere zum Opfer. In den Jahren 2020 und 2021 waren es laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) noch weniger als 1000 Tiere und zwischen 2009 und 2019 nur jeweils einige hundert. Die Züchter werden für jedes getötete Tier entschädigt. Seit Ende der 1990er Jahre wurden mehr als drei Millionen Franken Entschädigungen ausbezahlt, allein im Jahr 2022 rund 700'000 Franken, wie der Bund mitteilt.

In diesem Jahr jedoch sind die Schäden an Herden deutlich zurückgegangen. Das schrieb die Gruppe Wolf Schweiz Mitte Oktober in einer Mitteilung. Das sei auf Schutzmassnahmen wie den Einsatz von Herdenschutzhunden und das Aufstellen von Zäunen zurückzuführen. "Auch in diesem Jahr betreffen 80% der Schäden im Wallis ungeschützte Herden", heisst es in der Mitteilung. Anfang der 2000er Jahre habe ein Wolf durchschnittlich 33 Schafe pro Jahr gerissen, heute seien es fünf. Die Gruppe Wolf Schweiz setzt sich gemäss ihren Statuten für das friedliche Zusammenleben mit den einheimischen Grosraubtieren ein.

Laut der Stiftung Kora sind mindestens 50 Prozent des Schweizer Territoriums - insbesondere die Alpen und die Jurakette - ein geeigneter Lebensraum für den Wolf. Aus rein biologischer Sicht könnten zwischen 50 und 100 Wolfsrudel im Land leben. Ausserdem müsste die Schweiz laut einer internationalen wissenschaftlichen Studie aus dem Jahr 2016 mindestens 17 Rudel beherbergen, um die langfristige Lebensfähigkeit der Art in den Alpen zu gewährleisten.

Die Debatte über den Wolf in der Schweiz bleibt dennoch äusserst lebhaft. Umweltschützer sind der Ansicht, das Tier müsse in unserem Land gedeihen können. Sie erinnern daran, dass grosse Raubtiere das wirksamste Mittel sind, um den Bestand an Hirschen und anderen Pflanzenfressern zu regulieren. Diese könnten den Wäldern enormen Schaden zufügen. Ihnen gegenüber stellen die Viehzüchter die Angriffe auf die Herden in den Vordergrund und die damit verbundenen wirtschaftlichen Schäden sowie das Wohlergehen der Menschen, die mit dem Raubtieren in Kontakt kommen könnten.

Um eine dauerhafte Koexistenz zwischen Mensch und Raubtier zu ermöglichen, hat der Bundesrat vor einigen Tagen beschlossen, den ersten Teil der Änderung des Jagdgesetzes umzusetzen, der die Abschussbedingungen lockert. "Die Kantone können nun Wölfe abschiessen, um Schäden zu verhindern, und nicht mehr erst, wenn diese bereits eingetreten sind", erklärte die Regierung. Diese neue Strategie zur Regulierung des Wolfes tritt am 1. Dezember in Kraft.

Der Wolf bleibt eine geschützte Tierart, betont der Bundesrat. "Rudel, die keine Probleme verursachen, dürfen nicht abgeschossen werden", sagt der zuständige Bundesrat Albert Rösti. Die Kantone dürfen nicht ganze Rudel ohne Begründung ausrotten. Darüber hinaus hat die Regierung das Land in fünf Regionen eingeteilt. Für jede von ihnen gilt eine Mindestanzahl von zwei oder drei Rudeln. Insgesamt muss die Schweiz mindestens zwölf Rudel behalten. Dies bedeutet eine potenzielle Verringerung der Rudel um etwa 70 Prozent im Vergleich zur aktuellen Situation.

Marco Morell

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Graubünden verlor keine Zeit, um zur Tat zu schreiten. Die Bündner Behörden beantragten am Dienstag beim Bund die Genehmigung, vier der zwölf im Kanton ansässigen Rudel vollständig auszurotten. Die Bündner Behörden wollen auch bis zu zwei Drittel der Jungen von zwei Rudeln töten, die in der Nähe von Davos und im Puschlav anwesend sind. Insgesamt zielen sie auf bis zu 27 Tiere ab, zusätzlich zu den 17 Tieren, für die bereits eine Tötungsgenehmigung vorliegt. Im Kanton leben heute etwa 130 Wölfe.

Wieso der Wolf die Gemüter so erregt

Immer mehr Wölfe, immer weniger Wolfsrisse

Neueste Zahlen zeigen: Wölfe haben dieses Jahr deutlich weniger Tiere getötet als im Vorjahr – obwohl es in der Schweiz immer mehr Wölfe gibt. Was der Grund dafür ist, darüber wird gestritten.

Am Wochenende haben Wölfe des Kärpfrudels in Elm (GL) zahlreiche Alpakas gerissen. Ein weiteres sei heute Vormittag gestorben, sagt Urs Elmer. Seine Bauernfamilie hat damit insgesamt acht Alpakas verloren, drei weitere sind verletzt. «Ich habe gesehen, wie gewaltsam die Wölfe vorgehen.» Die Alpakas hätten keine Chance. «Gegen einen einzelnen Wolf können sie sich schon wehren, aber nicht gegen mehrere.»

Neueste Zahlen, die SRF vorliegen, zeigen jedoch: Es gibt insgesamt immer weniger Wolfsrisse. Im letzten Jahr wurden in Kantonen mit Wolfsrudeln bis Ende September über 1200 Tiere gerissen. Dieses Jahr haben die Wölfe im gleichen Zeitraum knapp 850 Tiere getötet – ein Rückgang von 29 Prozent. 

Besonders stark ist der Rückgang im Kanton Graubünden und Glarus: im Kanton Graubünden sind halb so viele Tiere getötet worden, in Glarus gab es über 80 Prozent weniger Risse. Auch in den Kantonen Wallis und Tessin haben die Wolfsrisse abgenommen. In den Kantonen Waadt und St. Gallen ist die Zahl der Risse hingegen stabil geblieben. 

Für «Pro Natura» sind Herdenschutzmassnahmen ausschlaggebend 

Dass es immer weniger Risse gebe, habe mit dem ausgebauten Herdenschutz zu tun, so erklärt sich die Umweltschutzorganisation «Pro Natura» den Rückgang.   «Herdenschutz bedeutet, dass die Herde entweder von Herdenschutzhunden und/oder von Hirten beschützt wird.» Eine weitere Möglichkeit sei, dass Hirten ihre Herden mit wolfsabweisenden Elektrozäunen sichern, sagt Sara Wehrli, Verantwortliche Jagdpolitik bei Pro Natura.

«Die Herdenschutzmassnahmen wirken in aller Regel sehr gut gegen den Wolf», so Wehrli. Es gebe aber Einzeltiere und selten auch ganze Rudel, die lernten, die Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. In diesen Fällen könne man aber heute schon eingreifen und die Wölfe abschiessen und die Rudel so dezimieren.

Herdenschutzmassnahmen nur die halbe Wahrheit 

Der Präsident des Schweizerischen Schafzuchtverbands, Lukas Berger, hat eine andere Erklärung für die weniger werdenden Risse. Der Rückgang der Risse hinge damit zusammen, dass  wegen des Wolfes immer weniger Alpen bewirtschaftet werden.   «Viele Älpler sind psychisch am Anschlag. Jeder Riss ist einer zu viel. Der psychische Druck auf die Betroffenen ist riesig.»

Aus Sicht von Pro Natura ist ein weiterer Ausbau des Herdenschutzes die Lösung. Denn 80 Prozent der Risse fänden in Herden statt, die nicht geschützt würden. «Das zeigt, dass es einen grossen Ausbaubedarf gibt», so Wehrli. Das Herdenschutzbudget sei in diesem Jahr bereits im Juni ausgeschöpft gewesen. Es sei klar, der Herdenschutz müsse weiterhin vom Bund finanziert werden.

Auch Lukas Berger unterstützt Herdenschutzmassnahme. In der Nähe von Spiez im Berner Oberland hält er selbst Schafe und schützt diese mit einem Elektrozaun. Der Herdenschutz würde aber teils an seine Grenzen stossen. Es hätte auch schon in geschützten Herden Risse gegeben, meint Berger: «Aufgrund der topografischen Begebenheiten sind nicht alle Alpen schützbar.» Herdenschutz sei sicher wichtig und richtig. «Er ist aber nicht überall gleich machbar.»

Berger setze deshalb auf die neue Jagdverordnung des Bundes. Diese sehe vor, dass künftig ganze Rudel präventiv abgeschossen werden können, ohne dass ein Wolf zuvor ein Nutztier gerissen hat.

Mehr Wölfe, weniger Risse

Wolf: Abschiessen oder schützen?

In den Bergregionen geniessen Wilderer mehr Sympathien als Wölfe – zu gross die Wut der Bauern über die Wolfsangriffe auf ihre Tiere. Neue Zahlen zeigen: Mehr als jeder 7. tote Wolf, der gefunden wird, ist Opfer von Wilderei.

Hier, neben dem Schafstall, hat Matthias Schnyder den Wolf M250 im Morgengrauen erschossen. Der verurteilte Wilderer empfängt die «Rundschau» am Tatort. «Ich komme zum Stall, mache einen Kontrollgang, ich war bewaffnet. Da sehe ich den Wolf die Schafe angreifen», erinnert sich Matthias Schnyder an den Moment, in dem er den Wolf erschoss. Die Tat ereignete sich im Oktober 2022. «Ich wusste, was ich mache. Wir haben Gesetze in der Schweiz. Ich wusste genau: Der Wolf ist ein geschütztes Tier. Aber ich habe auch eine Verpflichtung gegenüber meinen Tieren.»

Der Wolf hat in der Schweiz viele Feinde. Regelmässig werden Wölfe widerrechtlich getötet. Meist mit Schusswaffen, auch mit Gift. Recherchen der «Rundschau» zeigen, dass mehr als jeder siebte Wolf, der hierzulande tot gefunden wurde, Opfer von Wilderei wurde.

Konkret: Seit 1998 bis Ende August 2023 sind es 128 tote Wölfe. Elf davon wurden illegal getötet. Bei acht weiteren Wölfen, die legal geschossen oder durch einen Verkehrsunfall getötet wurden, zeigten Untersuchungen, dass die Wölfe zuvor illegal beschossen worden waren. Das Bundesamt für Umwelt Bafu bestätigt diese Zahlen gegenüber der «Rundschau». Und: Längst nicht alle toten Wölfe werden gefunden. Die tatsächliche Zahl der Fälle von Wilderei könnte somit noch höher sein.

Weder Held noch Bösewicht – Schuss sei seine Pflicht gewesen

Der tödliche Schuss von Matthias Schnyder hat eine Vorgeschichte. Eine, die den Bergbauern stark belastete. Zwei Nächte zuvor greift der Wolf einen Teil der Schafherde an, die neben dem Stall auf der Weide ist. Rund ein Dutzend tote und verletzte Schafe hat Schnyder entdeckt. Die Bilder der toten und verletzten Schafe bleiben im Kopf.

Er macht sich Sorgen um seine Schafe, schläft schlecht. Also nimmt er ein Gewehr mit Zielfernrohr aus dem Schrank – eine Waffe, für die er keine Berechtigung hatte – und fährt zum Stall. Als der Wolf wieder auftaucht, reagiert er. «Da ist das Adrenalin sofort in den Fingerspitzen», sagt Schnyder. Aus 50 Metern schiesst er auf den Wolf. «Im Nachhinein kann man vielleicht sagen, ich hätte auch in die Luft schiessen können und nicht direkt auf den Wolf.» Der verletzte Wolf läuft Richtung Waldrand und verendet.

In den sozialen Medien wird der damals noch unbekannte Wolfschütze von den einen gefeiert, von anderen kritisiert. Per Strafbefehl verurteilte die Staatsanwaltschaft Oberwallis Matthias Schnyder diesen Sommer wegen Wilderei und Verstössen gegen das Waffengesetz.

Er selbst sieht sich als Schäfer, der seine Pflicht getan hat: «Ich bin kein Wilderer. Ich habe meine Schafe geschützt. Ich bin verurteilt worden als Wilderer, das ist korrekt. Aber ich bin kein Spinner, der Wölfe oder Trophäen jagt.» Schnyder trägt die Konsequenzen – eine bedingte Geldstrafe von 4000 Franken und eine Busse von 950 Franken. Auch wenn er laut Gesetz falsch gehandelt hat, ist er persönlich überzeugt, moralisch richtig gehandelt zu haben.

Einer von sieben Wölfen wird gewildert

Eine Reportage zwischen dem Vergeletto-Tal, auf einer mit 200 Schafen bestückten Alp, und der Leventina, wo die Besitzerin der Schafe lebt, der bereits im letzten Sommer Opfer von Übergriffen wurde

"Ich würde gerne einmal einen Wolf treffen, aber das ist noch nicht passiert." Benjamin überrascht mich sofort; es ist nicht die klassische Antwort, die man von einem Hirten erwarten würde. Andererseits hat der 33-jährige Deutsche einen besonderen Hintergrund: eine Ausbildung als Grafikdesigner und eine Vielzahl von Jobs in seinem Lebenslauf, bevor er in den letzten sechs Jahren mehrere Erfahrungen in den Schweizer Alpen zwischen Wallis und Graubünden sammelte, immer im Umgang mit Schafen und Ziegen in den Bergen. Aber wir sind hier auf der Alp Arena im Vergeletto-Tal, nicht um über seine Vergangenheit zu sprechen, sondern über Wölfe und Herdenschutz.

Was den Schutz anbelangt, so fährt der Schäfer fort: "Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Schafe nachts im Stall einzusperren, einen Elektrozaun zu bauen oder den bereits im letzten Jahr für die Ziegen errichteten Zaun zu nutzen, in den wir nun die Schafe stellen können. Das ist praktisch, denn so können wir ihn wenigstens alle drei Tage umstellen, um das Wohl der Schafe zu gewährleisten. Hier gibt es auch den Vorteil, dass es sich um ein touristisches Gebiet mit mehreren Pässen handelt, was wahrscheinlich dazu beiträgt, den Wolf etwas weiter weg zu halten."

Benjamin hatte im Wallis Kontakt zu einem Bauern, der nach einer Reihe von Angriffen psychisch zerstört aus dem Betrieb ausstieg. In Graubünden kam er dann auf Do-it-yourself-Lösungen im Stil von Vogelscheuchen und angezündeten Feuern - und wurde bis jetzt noch nie angegriffen. Die rund 200 Schafe, um die sie sich zusammen mit ihrer Partnerin Eva Clivio kümmert, gehören Giulia Giugliemma, einer leventinischen Züchterin aus Sobrio, die im vergangenen Jahr im Val Bavona auf der Antabia-Alp Opfer eines grossen Raubzugs wurde. Die Alp ist eigentlich eine Ausweichlösung, da diese Weide traditionell mit Ziegen und Kühen besetzt ist.

"Es gab mehrere Möglichkeiten, aber entweder gab es Probleme mit der Organisation und dem Zeitplan, oder es gab Leute, die aus Angst einfach nicht wollten, auch nicht mit Kühen und Ziegen. Irgendwann haben wir gesagt, okay, wir müssen eine Lösung finden, und wir haben uns für Schafe entschieden."

Die Befürchtungen sind zum Teil nachvollziehbar: Wir befinden uns einen Steinwurf vom italienischen Val Grande entfernt, von wo aus ein grenzüberschreitendes Wolfsrudel immer wieder auf Locarneser Boden eindringt, insbesondere im Gebiet Cimalmotto-Bosco Gurin. Das Wolfsproblem stört Benjamin zwar nicht im Schlaf, aber es bedeutet eine Menge zusätzlicher Arbeit, und es ist nicht immer leicht, über die Runden zu kommen. Trotz aller Schwierigkeiten sollte die Weidehaltung in den Bergen für Benjamin erhalten bleiben, um die biologische Vielfalt, die Tradition und die Landschaft zu schützen. Deshalb, so der Hirte, muss der Wolf gemanagt werden: "Es ist kein einfaches Thema, aber ich denke, die Sorgen der Bergbauern und der alpinen Wirtschaft sind berechtigt. Es gibt diejenigen, die wollen, dass der Wolf nicht angetastet wird, und dann gibt es diejenigen, die alle Wölfe ausrotten wollen... Ich denke, dass eine Regulierung und eine Gesetzgebung notwendig ist, denn solange es zwei Wölfe gibt, ist es eine Sache, aber wenn es mehr und mehr werden und sie sich immer weiter vermehren, ändert sich alles... und Fachleute sollten sich darum kümmern."

So verlasse ich Benjamin und setze den Weg zur Salei-Hütte fort, wo ich den Hüttenwart Gianluca treffe, der die Einrichtung zusammen mit seiner Frau betreibt. Ich frage ihn auch kurz nach dem Wolf. "Letztes Jahr hat er hier in der Gegend Ziegen angegriffen und vier oder fünf von ihnen getötet. Wir sind eher auf der Hut, aber wir haben keine Angst", versichert der Hüttenwart.

Der Eigentümer: "Grossartige Leistung. Aber 22 Jahre lang habe ich durchgehalten."

Nach einer langen Fahrt komme ich auch bei Giulia Giugliemma an, der Besitzerin der fast 200 Schafe, die ich ein paar Stunden zuvor im Vergeletto-Tal getroffen habe. Sie zeigt mir ein Schaf mit drei Beinen: "Es wurde vor drei Jahren von einem Wolf gebissen." Nach den Überfällen in Antabia im Jahr 2022 war Julia sehr erschüttert: "Es war gar nicht so einfach, weiterzuziehen", sagt sie. "Ich musste Heu machen und mich um die Schafe und Lämmer kümmern, die verletzt waren. Es war eine grosse Anstrengung, körperlich und psychisch. Aber der Gedanke ans Aufhören, sagt sie, ist ihr nie in den Sinn gekommen: "Ich bin seit 22 Jahren allein unterwegs. Mit sporadischer Hilfe meines Sohnes." Eine Bestätigung dafür, dass sie selbst ein dickes Fell hat, selbst für Wolfszähne.

Matthias Hug

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Eine Reise auf die Schafsalp

"Wir sehen keine Zukunft, ich höre auf."

Maurizio Minoletti leitet seit 7 Jahren die Alp Rompiago. Nun ist er am Ende seiner Kräfte angelangt. "Ein Drittel der Herde wurde getötet".

Der Wolf hat ihn dazu gebracht, das Handtuch zu werfen. Maurizio Minoletti kennt man in der Region. Seine Alp Rompiago liegt in der Nähe des Monte Bar, ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen. 

Nun hat er entschieden, seine Tiere zu verkaufen und seinen Beruf aufzugeben. Viele Tessiner Landwirte haben die gleiche Entscheidung getroffen. Grund ist die steigende Anzahl Wölfe in der Region.

"Leider nimmt die Wolfspopulation in diesem Gebiet von Jahr zu Jahr zu. Angefangen hat es mit 5 oder 6 Wölfen, heute sind es ca. 20. Dieses Jahr haben sie 12 Tiere getötet, fünf weitere wurden verletzt. Insgesamt haben sie in den letzten sieben Jahren über 50 Ziegen und acht Schafe erbeutet, etwa ein Drittel der Herde. Wenn ein Tier getötet wird, ist das schlimm, aber man kann damit leben. Wenn man aber eins mit 15 bis 16 Bissen sieht und es noch lebt, dann tut das höllisch weh."

Minoletti kennt viele Kollegen, die wie er darüber nachdenken, den Beruf aufzugeben, "auch weil man sich wirklich von allen im Stich gelassen fühlt".

Im Laufe der Jahre hat er versucht, seine Tiere zu schützen: "Wir haben seit 15 Jahren Schutzhunde. Wenn die Wölfe jedoch so zahlreich sind, können sie die Hunde ablenken und schaffen es, Ziegen zu erbeuten. Wir haben einen Pyrenäenschäferhund, 56 Kilo schwer, aber letztes Jahr wurde er von Wölfen in den Rücken gebissen und war völlig offen. Und dabei gehören wir in der Gegend noch zu den Glücklichen. Unsere Nachbarn haben beim letzten Raubzug, ca. 13 Stück in einer Nacht verloren. Inzwischen wird über diese Vorfälle nicht einmal mehr in den Medien berichtet." Dazu kam, dass es wegen der Schutzhunde auch Zwischenfälle mit Touristen gab. 

Die Entscheidung, die Alp zu verlassen und den Beruf aufzugeben ist für Minoletti schmerzhaft: "Ich denke, dass diejenigen, die es schaffen, diese Jahre zu überstehen, auf lange Sicht einige positive Zeichen sehen werden. Die Frage ist, wie viele es schaffen. Ich bin seit sieben Jahren auf der Alp, mache diese Arbeit aber schon seit 18 Jahren. Nun ist es so schwer geworden, dass wir keine Zukunft mehr sehen, es ist unmöglich".

Und was wird der Landwirt nun tun? "Wir werden wahrscheinlich ein Grotto übernehmen", sagt er nicht ohne Bitterkeit.

"Ich höre auf"

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Gross, kräftig, laut – Widerstand gegen Herdenschutzhunde im Tal

Mit den Schafherden kommen im Winter auch die Herdenschutzhunde ins Dorf. Das führt zu Problemen mit Spaziergängern.

Ab und zu die Geräusche eines Flugzeugs – oder eben auch das Bellen der Hunde, welche die Herde der Familie Bernold bewachen. Es sind sogenannte Pyrenäen-Berghunde, welche die Schafe beim Hof in Mels und auf einer Weidefläche in Chur bewachen. Grosse, kräftige Tiere mit einem Gesicht, das dem Golden Retriever ähnelt.

Die Hunde sind bei der Schafherde, die eingezäunt ist. «Sie beobachten ganz genau, was rund um den Zaun geschieht und verteidigen die Herde – auch im Tal», sagt die Bäuerin und Hundebesitzerin Olivia Bernold.

«Es gibt hier immer wieder mal unschöne Begegnungen mit Spaziergängern, Joggerinnen oder Reitern», sagt Olivia Bernold. «Leute haben schon die Polizei gerufen, weil einer der Herdenschutzhunde ausserhalb der abgezäunten Weidefläche war», ergänzt Martin Bernold. Das fänden sie schwierig.

Herden mit Hunden zu schützen, dieses Konzept verfolgt der Bund seit der Jahrhundertwende, als der Wolf wieder in der Schweiz aufgetaucht ist.

Der Hundehalter ist verpflichtet, den Hund permanent unter Kontrolle zu haben.

Zwischen Sicherheit, Herdenschutz und Wildschutz gibt es Zielkonflikte. «Oberstes Gebot ist, dass der Hundehalter den Hund permanent unter Kontrolle hat», sagt der St. Galler Amtstierarzt Thomas Christen.

Personen, die offiziell Herdenschutzhunde halten, werden begutachtet. Es gibt Auflagen und Kontrollen, wie die offizielle Fachstelle Herdenschutz Schweiz schreibt. Die Fachstelle weist im Sommer auf ihrer Internetseite zum Beispiel auch aus, wo Herdenschutz-Hunde im Einsatz sind, damit sich Wanderer orientieren können.

«Es gibt allerdings immer mehr Hundehalter, die privat Herdenschutzhunde halten», sagt Thomas Christen. Sie verzichten auf Direktzahlungen vom Bund. Andererseits werden ihre Tiere dadurch auch nicht so engmaschig begutachtet und kontrolliert, wie die offiziellen Herdenschutzhunde. Das ist laut dem Amtstierarzt nicht unproblematisch.

Im Rahmen des nationalen Herdenschutzprogramms arbeiten laut der Fachstelle Herdenschutz Schweiz aktuell rund 300 Herdenschutzhunde auf gut 100 Schweizer Alpen; respektive davor und danach auch auf Frühlings-, Herbst- und Heimweiden. 

Die Kantone können nach Zwischenfällen mit Herdenschutzhunden Massnahmen anordnen, die von Erziehungsmassnahmen über einen Maulkorb bis zur Beschlagnahmung oder Tötung des Hundes gehen. Jeder Kanton hat eigene Gesetze.

Ein Hund, der für eine grosse Herde verantwortlich ist, kann nicht ein braver und stiller Schosshund sein.

«Es geht um die Co-Existenz von Landwirtschaft und Wolf», sagte der Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbandes Mathias Rüesch an einer Informationsveranstaltung im März. Natürlich könne ein Hund, der für eine grosse Herde verantwortlich sei, kein stiller Schosshund sein.

Mila Yong vom WWF Appenzell plädierte an der Veranstaltung für das Miteinander: «Die Leute im Tal müssen akzeptieren, dass sie während einer gewissen Zeit vielleicht etwas vorsichtiger an Wiesen vorbeilaufen müssen.»

«Herdenschutzhunde sind im Winter zum Teil unterfordert», beobachtet der Amtstierarzt. Regelmässiges Training sei wichtig. Und er fügt an: Es gab im Kanton St. Gallen nicht mehr Zwischenfälle mit Herdenschutzhunden, als mit anderen Hunden.

Die vier Hunde von Bernolds sind so erzogen, dass sie auf der Alp praktisch allein rund um die Uhr ihre Herde schützen können.

«Wir haben ein gutes Verhältnis mit den Nachbarn», sagen Olivia und Martin Bernold. «Aber, wir würden uns noch etwas mehr Verständnis von jenen Menschen wünschen, die im Tal an einer Herde mit Schutzhunden vorbeilaufen.»

Ende Mai gehen sie wieder «z'Alp». Mit dabei auch die vier Herdenschutzhunde, die sie seit acht Jahren haben. «Wir haben seither keinen einzigen Wolfsriss erlebt.»

Widerstand gegen Herdenschutzhunde

Ist ein Anti-Wolfshalsband das Wundermittel zum Schutz von Herden?

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Schweizer Forscher haben ein Halsband entwickelt, das mit Pheromonen beladen ist und Wölfe abwehren soll. Es wird derzeit auf 23 Alpen getestet, mit vielversprechenden ersten Ergebnissen.

Das von zwei Forschern aus den Kantonen Waadt und Tessin entwickelte System verwendet Wolfspheromone, die mit pflanzlichem Wachs vermischt sind. Das ausgehärtete Gemisch wird in einer Dose am Halsband des Tieres befestigt und verströmt drei bis vier Monate lang einen unverwechselbaren Duft.

Die Pheromone werden von den Wölfen eingeatmet. Diese haben Rezeptoren, auf die die Pheromone einwirken und die ein Signal im Gehirn des Tieres auslösen. "Es wird denken, dass es sich im Revier eines anderen Wolfs befindet oder irgendwo, wo es nicht hingehen sollte. Es muss sich also entfernen, um nicht mit einem anderen Tier in Konflikt zu geraten", sagt der Forscher Davide Staedler, Direktor des Unternehmens Tibio, gegenüber RTS.

Die Halskette kostet 25 Franken. Heute nehmen 657 Tiere an diesem Experiment teil. Nur ein Tier, das ein Wolfshalsband trug, fiel dem Raubtier zum Opfer. Dieses Tier stammt von einem Züchter aus dem Kanton Waadt.

"Eine unserer Kühe hatte ein Halsband, wir hatten es ihr gerade erst umgebunden. Inzwischen haben wir das bei der gesamten Herde getan, und es hat keine neuen Angriffe mehr gegeben. Sie sind jetzt woanders", sagt der Züchter Gérald Rime.

Ergebnisse müssen noch ausgewertet werden

Tibio und Studio Alpino, die Unternehmen, die diese Halsketten entwickelt haben, bleiben trotz allem vorsichtig. "Wir wollen keine falschen Hoffnungen wecken. Wir möchten wirklich klarstellen, dass es sich um einen Test handelt. Die Ergebnisse sind sehr positiv, aber wir können noch nicht sagen, dass es unter allen Umständen funktioniert. Wir brauchen die Unterstützung der Behörden und der Landwirte, damit wir dieses Projekt gemeinsam aufbauen können", sagt Davide Staedler.

Mehrere Kantone und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) haben bereits ihr Interesse am Projekt bekundet. Die Forscher sammeln Daten und analysieren sie, um ihr Halsband weiter zu verbessern.

Wundermittel gegen den Wolf?

Wenn Wölfe Grenzen überschreiten - und damit die Behörden fordern

Susanne Stöckl

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Immer mehr Wölfe stehen vor den Toren der Schweiz. Nach Schätzungen des Departements Haute-Savoie von Anfang August hat sich deren Zahl in Frankreich innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. Heute sind sie in der Nachbarregion weit verbreitet. 

Die Behörden stehen vor einem Problem: Immer mehr Wölfe wandern von Frankreich in Richtung Schweiz ein.

Bis 2020 gab es im Grenzgebiet zu Frankreich, aber auch zu Italien drei grenzüberschreitende Rudel. Heute sind es schätzungsweise acht. Und das ist neu, sagt Nicolas Bourquin, Leiter der Abteilung Jagd, Fischerei und Wildtiere im Kanton Wallis.

"In den letzten zwei Jahren hat sich Anzahl Rudel stark vergrössert, auch im Wallis und Graubünden. Und aufgrund der Überwachungsergebnisse stellen wir fest, dass diese Rudel die Grenzen überschreiten. Das ist etwas, was uns seit letztem Jahr stark beschäftigt."

Die Zusammenarbeit bei der Überwachung hat sich verbessert. Unter anderem geht es darum, die Wölfe nicht doppelt zu zählen oder zu wissen, wo sie sich aufhalten. Die Haute-Savoie hat vor kurzem ihre Überwachungsmassnahmen intensiviert, was den Informationsaustausch mit der Schweiz erleichtert.

Die Zusammenarbeit stösst jedoch an ihre Grenzen, wenn entschieden werden muss, welcher Wolf geschossen werden soll, da sich die Behörden der einzelnen Länder nicht einig sind.

Hier stehen sich zwei sehr unterschiedliche Strategien gegenüber. In der Schweiz sind die Regeln strenger: Man darf nicht einfach irgendeinen Wolf erschiessen, und man braucht einen Grund, z. B. wenn er Nutztiere angegriffen hat. In Frankreich kann ein bestimmter Prozentsatz Wölfe - 19% der Population - geschossen werden.

Ausserdem sind die Verantwortlichkeiten unterschiedlich geregelt. In der Schweiz sind die Wildhüter für die so genannten "Regelabschüsse" zuständig. In Frankreich ist es anders. Stéphane Anselme-Martin, Abteilungsleiter beim französischen Amt für biologische Vielfalt in Haute-Savoie, erklärt:

"Bei uns entscheidet nicht jede Region für sich über die Abschüsse. Wir halten uns an das nationale Reglement. Wolfsabschüsse sind Ausnahmen, die von Züchtern vorgenommen werden können, damit sie sich unter bestimmten Bedingungen verteidigen können."

Letztes Jahr wurde eine Wölfin aus einem grenzüberschreitenden Rudel von französischen Jägern erschossen, obwohl sie in der nur vier Kilometer entfernten Schweiz geschützt gewesen wäre. Eine solche Situation könnte sich mit der Zunahme grenzüberschreitender Rudel wiederholen. Etwas, das der Gruppe Wolf Schweiz Sorgen bereitet. Laut Isabelle Germanier, Sprecherin der Gruppe in der Westschweiz, könnten die Folgen des Abschusses in Frankreich vor allem während der Reproduktionsphase schwerwiegend sein.

"Wenn man die Elterntiere zu diesem Zeitpunkt aus dem Rudel entfernt, könnten die Jungtiere unerwünschte Verhaltensweisen an den Tag legen und diese dann in die Schweiz bringen."

Eine weitere Sorge ist, dass möglicherweise von beiden Seiten der Grenze auf ein und dasselbe Tier geschossen wird. Um zu verhindern, dass dadurch mehrere Wölfe getötet werden, ist die Kommunikation entscheidend und muss intensiviert werden.

Auch Wolfsschutzverbände fordern eine Änderung der französischen Abschusspolitik. In Frankreich soll der nächste Wolfsplan im Zeitraum 2024-2029 verabschiedet werden. Verbände befürchten, dass der Prozentsatz der Wölfe, die getötet werden dürfen, dann noch einmal erhöht wird.