Jede sechste Person in der Schweiz leidet unter Burnout 

Siebzehn Prozent der Schweizer Bevölkerung geben an, schon einmal ein Burnout erlebt zu haben, auch bekannt als berufliches Erschöpfungssyndrom. Das zeigt die SRG-Umfrage "Wie geht's, Schweiz?". Deutlich stärker betroffen als der Durchschnitt ist die französischsprachige Schweiz sowie Frauen, und Menschen mit niedrigem Einkommen.

Stress am Arbeitsplatz ist für viele Menschen in der Schweiz eine Realität. Siebzehn Prozent der Bevölkerung geben an, schon einmal ein Burnout erlitten zu haben. Und jeder/jede vierte in der Schweiz glaubt, im aktuellen Arbeitsumfeld von Burn-out bedroht zu sein. Dies zeigen die neusten Ergebnisse der grossen Studie "Wie geht's, Schweiz?"

Französischsprachige Schweiz am stärksten betroffen

Allerdings scheinen nicht alle in gleicher Weise betroffen zu sein. Die Prävalenz von Burnout scheint bei französischsprachigen Personen besonders hoch zu sein (24,1 %) und liegt deutlich über der bei deutschsprachigen (15,1 %), italienischen (14,7 %) oder rätoromanischen (5,3 %) Personen.

Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären? Die Psychologin Nadia Droz weist darauf hin, dass Burnout weder eine anerkannte Diagnose ist, noch ein klar definiertes Syndrom darstellt. Eine der Erklärungen könnte daher in einer "unterschiedlichen Lesart" des Begriffs in den verschiedenen Sprachen liegen, so die Expertin. Die Arbeitsmedizinerin warnt vor einer vorschnellen Interpretation: "Diese Umfrage lässt nicht den Schluss zu, dass es besser ist, in der Deutschschweiz zu arbeiten als in der Westschweiz.

Auch Laurenz Meier, Professor am Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Neuenburg, wagt keine endgültige Stellungnahme zu diesem Thema. Er stellt jedoch fest, dass dieser Unterschied zwischen der französischsprachigen und der deutschsprachigen Schweiz bei anderen psychischen Störungen zu finden ist. Dies gilt insbesondere für Depressionen, wie die Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen.

Auch erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es beim Thema Burnout. Die Umfrage zeigt, dass Frauen häufiger als Männer zugeben, im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn unter Burnout gelitten zu haben (18,7 % gegenüber 14,8 %). Dies gilt insbesondere für Frauen zwischen 40 und 64 Jahren (22 %).

"Wie bei anderen psychischen Erkrankungen wissen wir auch bei Burnout, dass Frauen eher bereit sind, ihren Zustand zu äussern und Hilfe zu suchen", erklärt Nadia Droz. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die tatsächliche Prävalenz des Burnout-Syndroms je nach Geschlecht unterschiedlich ist, betont sie.

innovative-peach-guppy

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/innovative-peach-guppy_fr_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Laurenz Meier stellt andere Hypothesen auf. Seiner Meinung nach ist es möglich, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern mit anderen Parametern zusammenhängt, die in der Umfrage nicht berücksichtigt wurden. So sind beispielsweise Frauen im Gesundheitssektor überrepräsentiert, ein Bereich, der für seine schwierigen Arbeitsbedingungen bekannt ist. Die Belastung durch die Hausarbeit, die immer noch hauptsächlich von Frauen getragen wird, kann auch ein erschwerender Faktor für die berufliche Überlastung sein, vermutet der Professor.

Je weniger man verdient, desto mehr leidet man

Das Einkommen scheint ebenfalls ein entscheidender Faktor für Burnout zu sein. Je besser man verdient, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man unter Burnout leidet, so die SRG-Umfrage. Fast 30 % der Personen aus Haushalten mit einem Monatseinkommen von weniger als 3000 Franken geben an, dass sie ein Burnout erlebt haben. Am anderen Ende der Skala haben "nur" 13% der Personen ein Burnout, die mehr als 9'000 Franken verdienen.

Für Laurenz Meier sind neben der Arbeitsbelastung auch die "Belohnungen", die wir für unsere harte Arbeit erhalten - zu denen auch das Gehalt gehört - wichtig, um zu verstehen, ob ein Burnout auftritt oder nicht. "Ab einem bestimmten Einkommen ist das Gehalt kein Motivationsfaktor mehr", stellt Nadia Droz fest. Bei den Geringverdienern wird diese Schwelle jedoch nicht erreicht und das Gehalt reicht nicht zum Leben, "was ein Risiko für chronischen Stress darstellt", betont sie.

Paradoxerweise ist Burnout bei Teilzeitbeschäftigten nicht häufiger als bei Vollzeitbeschäftigten, so die Studie. In beiden Kategorien ist die Prävalenz fast identisch. "Kein Wunder", sagt Professor Laurenz Meier. "Viele denken, dass die Arbeitsbelastung der Grund für Burnout ist, aber das ist nicht der Fall. Es kommt vor allem auf die Dichte und Intensität der Arbeit an. So ist es beispielsweise ein grosser Unterschied, ob man fünf oder zehn Stunden Zeit hat, um dieselbe Aufgabe zu bewältigen", erklärt er.

Nadia Droz stimmt dem zu: "Teilzeitarbeit ist kein Schutz. Das kann so sein, vor allem für Menschen, die unter Burnout gelitten haben und sich entschlossen haben, ihr Arbeitspensum zu reduzieren, aber es muss nicht sein." Das Gleiche gilt übrigens auch für den Beruf oder die hierarchische Position, die man innehat. "Kein Job und keine Position ist ein Bollwerk gegen Burnout", folgert der Lausanner Psychologe.

Jede sechste Person hatte ein Burnout

Stress bei der Arbeit: Wie wirkt sich das auf uns aus?

In der Schweiz fühlen sich Viele bei der Arbeit gestresst und erschöpft. Die RTS-Sendung "Ça change quoi pour vous?" beschäftigt sich mit den Folgen, die diese Entwicklung für die Menschen, die öffentliche Gesundheit und die Wirtschaft hat.

Susanne Stöckl

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/motionless-champagne-cod_fr_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Gerade nach langen Sommer- oder Herbstferien kommt das Gefühl wieder zurück: Der Stress, die Erschöpfung, wenn man auf Arbeit ist. Für die Betroffenen ist es wie ein unüberwindbarer Berg, den es zu erklimmen gilt, wie Sarah Bertschi, Beraterin für betriebliches Gesundheitsmanagement, beschreibt.

Und plötzlich ist man zu nichts mehr fähig. Alles fühlt sich an wie ein riesiger Berg.

Arbeit und Stress gingen schon immer Hand in Hand. Der Begriff "Burnout" wurde 1969 geprägt, aber das Syndrom wurde erst in den frühen 80er Jahren konzeptualisiert, vor allem in den Gesundheits- und Pflegeberufen, bevor es sich auf andere Sektoren ausdehnte. In der Schweiz liegt die Häufigkeit von Burnout bei Patienten laut Unisanté heute zwischen 6 und 9 %.

Unsere kapitalistische und technologische Gesellschaft hat die Welt der Arbeit verändert. Mit dem Aufkommen von E-Mails, Smartphones und Fernarbeit ist die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben verwischt. Hinzu kommt der Leistungsdruck, den wir uns selbst auferlegen.

"In der Schweiz haben wir eine besondere Beziehung zur Arbeit. Wir sprechen von "Schweizer Qualität", "gut gemachter Arbeit", wir haben Gewerkschaften, aber nur wenige Streiks. Die Arbeit ist in der Schweiz so etwas wie ein Heiligtum", hat die Psychologin Catherine Vasey beobachtet.

Die Gewerkschaften fordern einen besser an diese Veränderungen angepassten Schutz. "Die Arbeit ist heute anspruchsvoller, intensiver und komplexer geworden. Neue Technologien haben es möglich gemacht, einem Arbeitsplatz immer mehr Aufgaben hinzuzufügen, die Löhne stagnieren und die Lebenshaltungskosten steigen. Es ist also wirklich eine sehr schwierige Situation für die Arbeitnehmer", erklärte Migmar Dhakyel, der Zentralsekretär von Syna.

Eine weitere Komponente ist die Bedeutung unserer Arbeit. Der amerikanische Anthropologe David Graeber hat 2018 den Begriff "Bullshit-Job" geprägt, um die nutzlosen Aufgaben zu bezeichnen, die ein grosser Teil der Angestellten, auch in der Schweiz, erledigt.

Wir hatten das Gefühl, dass wir alle jeden Tag eine Menge Berichte produzierten, die auf dem Schreibtisch eines Managers landeten, dessen Aufgabe es war, sie zu lesen. Wir haben nie eine Rückmeldung darüber bekommen, was wir gemacht haben. Es ist dieser Begriff der Nützlichkeit, der wirklich wichtig ist. Du tust etwas und fragst dich: "Wozu soll das gut sein?"

Michaël Desforges zum Beispiel war über zwanzig Jahre lang im Bankwesen tätig. Die kränkliche Produktion von Berichten veranlasste ihn zu einem Richtungswechsel. "Wir hatten das Gefühl, dass wir jeden Tag eine Unmenge von Berichten produzierten, die auf dem Schreibtisch eines Managers landeten, dessen Aufgabe es war, sie zu lesen. Wir haben nie eine Rückmeldung darüber bekommen, was wir gemacht haben. Es ist dieser Begriff der Nützlichkeit, der wirklich wichtig ist. Wenn man etwas tut, fragt man sich, wozu das gut sein soll", erklärte er.

Abgesehen von dem immensen Druck, den die Pandemie auf bestimmte Berufsgruppen ausübte, ermöglichte es uns Covid auch, zu entschleunigen und ein Leben fast ohne Büro und Kollegen zu entdecken. Die Rückreise war schwierig. Im Oktober 2021 hatte die Clinica Holistica, die auf Burnout spezialisiert ist, eine Warteliste von zwei bis drei Monaten.

"Im ersten Halbjahr 2021 haben wir eine Rekordauslastung von 100,7 Prozent erreicht. Wir waren faktisch überbelegt, und diese Quote wird in der zweiten Jahreshälfte ähnlich oder sogar noch höher sein", so Michael Pfaff, Medizinischer Direktor der Bündner Klinik.

Die Fehlzeiten in der Schweiz haben im vergangenen Jahr einen Rekordwert erreicht. Mit 9,3 Fehltagen pro Vollzeitbeschäftigtem im Jahr 2022 sind dies 20 % mehr als im Covid-Zeitraum und 33 % mehr als im Jahr 2019. Dieser Anstieg betrifft alle Sektoren. Hauptursache ist die Gesundheit, sei sie nun körperlich oder geistig.

Stress am Arbeitsplatz hat die Schweizer Wirtschaft im vergangenen Jahr rund 6,5 Milliarden Franken gekostet, wie der Job Stress Index 2022 von Promotion Santé Suisse zeigt.

"Das ist für den Arbeitgeber sehr kostspielig. Vor allem grosse Unternehmen mit vielen Angestellten haben hier einen Hebel. Der Handlungsspielraum ist für kleine Unternehmen, die den gleichen Zwängen unterliegen und den gleichen Druck auf ihre Mitarbeiter ausüben, viel geringer", erklärte der Direktor des AI-Büros in Genf.

Alle suchen also nach einer Zauberformel. Dazu gehören die "Chief Happiness Officers", d.h. die Verantwortlichen für das Glück. "Wenn mir ein Manager sagt, dass das Wohlbefinden am Arbeitsplatz ein bestimmtes Budget kostet, sage ich ihm, dass das nichts ist im Vergleich zu den Kosten des Unwohlseins am Arbeitsplatz", betont Annika Månsson von der Firma Happy at Work.

In diesen Fortbildungskursen wird die Verantwortung für den Stress allein dem Individuum zugeschrieben, ohne den Arbeitskontext und die Entstehung des Stresses zu hinterfragen.

Doch diese Gurus, deren Aufgabe es ist, uns zu ermutigen, unsere Leistung am Arbeitsplatz zu verbessern, beunruhigen Sophie Le Garrec, Arbeitssoziologin an der Universität Freiburg: "In diesen Schulungen wird die Verantwortung für den Stress allein dem Individuum zugeschrieben, ohne den Arbeitskontext und die Entstehung des Stresses zu hinterfragen."

Stress bei der Arbeit

Auch in der Schweiz sind Tierärztinnen und Tierärzte besonders suizidgefährdet

Marco Morell

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/young-amaranth-emu_fr_SPEECHMATICS.vtt

Eine französische Studie ergab, dass Tierärzte drei- bis viermal häufiger Selbstmord begehen als die Allgemeinbevölkerung. Auch in der Schweiz ist dieser Beruf in Bedrängnis. Um ihnen zu helfen, wurde gerade eine Hotline eingerichtet.

Vannozza Gauthier, Tierärztin in Echallens, liebt ihren Beruf sehr, aber vor einigen Jahren hätte sie ihre Praxis beinahe geschlossen. Der Grund: "Ich war kurz davor, auszubrennen".

Ihr Fall ist da keine Ausnahme. Eine im vergangenen Jahr in Frankreich veröffentlichte Studie der Université de Bourgogne Franche-Comté hat gezeigt, dass Tierärzte drei- bis viermal häufiger Selbstmord begehen als die Allgemeinbevölkerung und doppelt so häufig wie das Pflegepersonal in der Humanmedizin.

Endlose Tage, Notfälle und Bereitschaftsdienst: Die Woche für Tierärzte ist lang. Laut einer Studie des BASS (Bureau d'études de politique du travail et de politique sociale) aus dem Jahr 2021 arbeiten Tierärzte durchschnittlich 50 Stunden pro Woche.

Als sie ihre Praxis eröffnete, verfügte Vanozza Gauthier über ein Mobiltelefon, auf dem ihre Kunden ihn 24 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche und drei Wochenenden im Monat anrufen konnten.

"An manchen Abenden bin ich so müde, wenn ich nach Hause komme, dass ich nicht einmal das Abendessen kochen kann. Heute ist das selten, aber früher war es sehr häufig der Fall. Man fühlt sich sehr schuldig, weil man das Gefühl hat, seine Familie im Stich zu lassen.

Eine weitere Last auf unseren Schultern: "Die Google-Bewertungen lasten schwer auf uns", kommentiert sie.

"Wenn ihm etwas zustösst, bringe ich dich um."

Ein weiteres Problem: Die Beziehungen zu den Tierhaltern sind angespannt. Der Stellenwert des Tieres in der Gesellschaft hat sich verändert, und die Ansprüche der Kunden sind gestiegen.

Der Genfer Tierarzt Luc Borer berichtet von einem Kunden, der ihm am Ende einer Konsultation sagte: "Es ist wie mein Kind: "Es ist wie mein Kind, wenn ihm etwas zustößt, bringe ich Sie um."

Vor allem ist nicht jeder bereit oder in der Lage, für die medizinische Versorgung seines Haustieres zu zahlen. "Es bricht uns das Herz, wenn wir einem Tier aus wirtschaftlichen Gründen nicht helfen können, obwohl es unsere Berufung ist", gesteht Luc Borer.

Da er auch Präsident der Genfer Gesellschaft der Tierärzte ist, sieht Luc Borer nun einen ständigen Strom von Kundenbeschwerden. Manche Menschen beantragen die Erstattung von Rechnungen erst Monate - oder sogar Jahre - nach einer Behandlung, weil sie diese im Nachhinein für zu teuer halten.

Auch die Euthanasie ist eine Geste, die zwar häufig vorkommt, aber manchmal schwer auf den Tierärzten lastet. Im Kanton Waadt macht Laudine Lequet viel davon: "Wenn man mit Leiden konfrontiert wird, sei es bei Menschen oder Tieren... Dafür kann man nicht unsensibel sein", resümiert sie. "Und wir sehen wirklich alles."

Obwohl in der Schweiz keine Statistiken über Selbstmorde unter Tierärzten geführt werden, ist das Unbehagen in diesem Berufsstand bekannt. "Ich kenne zwei Menschen direkt, die Selbstmord begangen haben. Und wenn man mit Kollegen spricht, kennen viele sie", sagt Luc Borer.

Dies gilt auch für Vannozza Gauthier, deren Kollege sich mit Geräten aus seiner eigenen Apotheke das Leben nahm. Das Vorhandensein der erforderlichen Mittel ist ebenfalls ein Faktor, der die Tat erleichtert.

Laudine Lequet kannte einen Kollegen und Freund, der sich nur zwei Jahre nach Abschluss seines Studiums, im Alter von 26 Jahren, das Leben nahm. Um die Symptome von Burnout besser erkennen zu können, trat sie der französischen Vereinigung Véto-Entraide bei.

Auch die Schweizerische Gesellschaft für Veterinärmedizin ist sich des Problems bewusst und hat im Februar dieses Jahres eine kostenlose Hotline eingerichtet, um Tierärzten, Tierarzthelferinnen und ihrem Umfeld zu helfen. "Wir wollen weiter gehen und wirksamere Massnahmen zur Unterstützung der Studierenden einführen", erklärt der Präsident Olivier Glardon.

"Denn wir stellen fest, dass auch sie geschwächt sind, was vielleicht etwas Neues ist. Wir würden auch gerne mehr Unterstützung während der postgradualen Ausbildung bieten, die wie in der Humanmedizin ein Schock sein kann, sowie während der Arbeit in der Praxis, um Bedenken schneller zu erkennen".

"Wenn man es versteht, auf sich selbst aufzupassen und Grenzen zu setzen, sowohl für die Tierhalter als auch für sich selbst, ist es ein wunderbarer Beruf", schließt Vannozza Gauthier. "Aber man muss lernen, mit all dem umzugehen.

Risikoberuf Tierarzt

Nimmt unser Job zu viel Raum ein?

Burnout-Prävention? Auf den Körper hören!

Viele Menschen klagen über chronischen Stress im Job. Durch die Corona-Pandemie ist der Arbeitsalltag oftmals noch belastender geworden. Um nicht in eine Stress-Spirale zu geraten, solle man auf die Signale seines Körpers achten, sagt der Arbeitsmediziner Dieter Kissling.

SRF: Herr Kissling, gemäss Studien sind viele Arbeitnehmende süchtig nach Arbeit und ständiger Betriebsamkeit. Entsteht Stress eher durch äussere Faktoren oder wird er von uns selbst gemacht?

Dieter Kissling: Beide Aspekte sind relevant. Hat ein Individuum hohe Erwartungen, etwa, weil es zum Perfektionismus neigt,  trägt das zum Stress bei. Anderseits sind auch die Rahmenbedingungen zentral, etwa die Unternehmens- und Führungskultur. Wenn beides zusammenkommt, kann chronischer Stress entstehen.

Die Psychologie unterscheidet zwischen Eustress und Distress, also positivem und negativem Stress. Kann Stress denn auch positiv sein?

Ursprünglich ist Stress eine Überlebensstrategie: Wenn der Bär kommt, müssen wir leistungsfähiger sein, um zu überleben. Zum Problem wird er erst, wenn permanent hohe Leistungsbereitschaft gefordert wird und der Stress chronisch wird.

Aber stellen Sie sich vor, Sie hätten früher vor Prüfungssituationen keinen Stress verspürt. Sie wären gar nicht bereit gewesen zu lernen. Stress beflügelt uns auch.

Wann wird aus der Herausforderung eine Überforderung, aus befriedigender Betriebsamkeit eine ungesunde Stressbelastung?

Wenn unser Körper und unsere Psyche sich melden und Symptome auftreten. Wenn ich merke, dass ich mich aufgrund dieser chronischen Belastung verändere. In dem Moment sollte man sich eingestehen, dass man kürzertreten muss.

Welche Mechanismen am Arbeitsplatz erzeugen negativen Stress?

Untersuchungen zeigen, dass der Zeitdruck ganz weit oben steht. Auch die Arbeit mit Kunden oder Patienten birgt hohe Stressrisiken. Dazu kommen diverse Führungsthemen, etwa Kommunikationsprobleme zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten und das Thema Arbeitsplatzunsicherheit. Auch lange Arbeitszeiten und zwischenmenschliche Konflikte erzeugen negativen Stress. 

Wenn die Stressbelastung chronisch ist, kann man krank werden. An welchen Symptomen zeigt sich das?

Auf der körperlichen Ebene gibt es die typischen Schulter-Nacken-Verspannungen, Reizdarm-Beschwerden oder Herzrhythmusstörungen. Auf der psychischen Ebene sind Schlafstörungen ein frühes Symptom.

Frühe Anzeichen werden oft nicht bemerkt.

Dann kommt es auch zu Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und Gereiztheit. Ich werde dünnhäutig und reagiere aggressiver auf das Umfeld. Diese frühen Anzeichen werden leider von den Betroffenen, die in dieser Stress-Spirale stecken, oft nicht bemerkt. Es gehört für sie einfach dazu, und das Umfeld leidet.

Gibt es in diesem Prozess einen «Point of no return», ab dem man als Betroffener aus den Stressfolgen nicht mehr herauskommt?

Ja, den gibt es leider. Wenn die Erschöpfung so stark wird, dass nichts mehr geht. Wenn sich Symptome einer Depression einstellen oder sich körperliche Schäden entwickelt haben, ist eine intensive Therapie nötig. Dann braucht es Hilfe von aussen, allenfalls stationär in einer Klinik, damit Patienten konsequent behandelt werden können.

Stichwort Prävention: Was kann man tun, um nicht in eine solche Spirale hineinzugeraten?

Bewegung ist extrem hilfreich. Wenn wir uns bewegen, bilden sich neue Nervenzellen im Gehirn, die widerstandsfähiger machen. Wir sollten uns regelmässig entspannen und genügend schlafen – sieben bis acht Stunden pro Nacht. Ausserdem sollten wir nicht von morgens bis abends ohne Unterbruch durcharbeiten, sondern jede Stunde eine Mikropause machen und die Gedanken sammeln.

Zudem sollte man die eigenen Erwartungen überdenken: Muss es immer perfekt sein? Dazu gehört auch, stressverschärfende Gedanken wie «was denken die wohl von mir?» in den Griff zu bekommen, anstatt sich dauernd selbst zu stressen. 

Welche Verantwortung hat das Arbeitsumfeld?

Als Arbeitgeber frage ich mich immer wieder: Wie schaffe ich eine Unternehmenskultur mit meinen Regelwerten und Überzeugungen, in der die Mitarbeitenden sich wohlfühlen? Ist meine Führungskultur unterstützend, wertschätzend? Das sind wichtige Aspekte, die in einem Arbeitsumfeld auch zusammen mit den Mitarbeitenden geklärt werden müssen. Parallel erwarte ich von meinen Mitarbeitenden, dass sie ihre Eigenverantwortung wahrnehmen und ein gewisses Gesundheitsverhalten pflegen.

Gibt es stresserzeugende Faktoren, die weder Vorgesetzte noch Mitarbeitende beeinflussen können?

Mit der Corona-Pandemie erleben wir seit zwei Jahren ein Beispiel dafür. Wir können Covid nicht steuern, aber wir können beeinflussen, wie wir damit umgehen. Das ist das Entscheidende. Wir nennen dies Resilienz: Lasse ich mich von einer belastenden Situation krankmachen, oder habe ich die Fähigkeit, trotzdem gesund zu bleiben?

Burnout: Das können Sie tun

Was, wenn künstliche Intelligenz Burnout besser erkennen könnte?

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/potential-peach-pike_fr_SPEECHMATICS.vtt

Künstliche Intelligenz könnte helfen, Burnout zu erkennen. Vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Forschende haben eine vielversprechende Methode entwickelt, die auf einer automatischen Textanalyse beruht.

Sagen Sie mir, wie Sie schreiben, und ich sage Ihnen, ob Sie ein Burnout haben. Ein Forscherteam hat eine Methode entwickelt, die auf der automatischen Analyse von Wörtern und Sätzen beruht, um Fälle von Burnout am Arbeitsplatz zu erkennen.

Die Ergebnisse, die im Frühjahr 2022 in "Frontiers" in "Big Data" veröffentlicht wurden, sind ziemlich beeindruckend: Künstliche Intelligenz erkennt Burnout in 93 % der Fälle richtig.

Dazu analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Texte der Plattform Reddit - einer englischsprachigen Community-Website, die als thematisch gegliedertes Diskussionsforum aufgebaut ist.

Insgesamt wurde eine Datenbank mit über 13'000 Textauszügen zusammengestellt. Einige stammten aus Diskussionen zum Thema Burnout, während andere aus verschiedenen thematischen Foren stammten.

Laut Mascha Kurpicz-Briki, Professorin für Data Engineering an der Berner Fachhochschule in Biel, ist die Methode weniger zeitaufwändig und auch zuverlässiger als bisherige psychologische Tests. "Manchmal haben wir Probleme mit Fragen mit abgestuften Antworten. Es kann auch vorkommen, dass Menschen versuchen, die Ergebnisse zu beeinflussen", erklärt die Wissenschaftlerin gegenüber RTS.

Genau das wollten die Forschenden mit dieser Methode verbessern. Der Frust besteht jedoch darin, dass man nicht genau weiss, welche Wörter oder Wendungen als Symptome eines Burnouts erhalten bleiben. Man könnte die Methode mit einer Blackbox vergleichen, die nicht alle Entscheidungsmechanismen offenbart.

Ergebnisse müssen noch konsolidiert werden

Die Ergebnisse müssen noch mit Ärztinnen und Ärzten gefestigt werden, die die Schlussfolgerungen an realen Burnout-Fällen und an einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung überprüfen.

Burnout ist ein Zustand tiefer körperlicher und psychischer Erschöpfung. Es ist nicht leicht zu erkennen, da die Symptome denen von Krankheiten wie Depressionen oder Angstzuständen ähneln.

Erkennung von Burnout

Travailsuisse warnt vor Erschöpfung am Arbeitsplatz

Der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse fordert gesetzgeberische Massnahmen gegen Stress und Erschöpfung am Arbeitsplatz. Unter anderem will er der psychischen Belastung von Arbeitnehmenden mit griffigeren Regeln zu Überstunden und mehr Ferien entgegenwirken. Immer mehr Menschen seien von arbeitsbedingtem Stress betroffen, so Travailsuisse.

Zu lange Arbeitstage, immer mehr Flexibilität, unklare Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben. In diesen Entwicklungen sieht der Gewerkschaftsdachverband die Ursache für zunehmenden Stress am Arbeitsplatz. Er sieht die Politik in der Pflicht – und fordert griffigere Regeln zur Arbeitszeit und mehr Ferien für alle.

Stress und Erschöpfung stellten die grösste Belastung für Beschäftigte dar, sagte Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich in Bern: «Mittlerweile kennen alle jemanden, der mit einem Burnout längere Zeit ausgefallen ist.» Der Fachkräftemangel bedeute für die Arbeitnehmenden eine höhere Belastung.

Travailsuisse stellte an der gemeinsamen Medienkonferenz mit Vertreterinnen und Vertretern der Gewerkschaft Syna, der Hotel- und Gastro-Union sowie dem Personalverband Transfair in Bern eine Analyse zum Thema vor.

Ansetzen will Travailsuisse unter anderem bei der Dienstplanung: Heute müssten Arbeitspläne in der Regel mit einem Vorlauf von nur zwei Wochen bekannt gegeben werden. Dies sei nicht mehr zeitgemäss, da in mehr Familien beide Elternteile einer Erwerbsarbeit nachgingen. Arbeit auf Abruf möchte die Organisation explizit verboten sehen.

Strengere Bestimmungen fordert der Verband auch bei den Regelungen der Ruhe- und Arbeitszeit. Denn in immer mehr Betrieben müssten Angestellte von morgens früh bis abends spät anwesend sein und erhielten lediglich zwischendurch ein paar Stunden Freizeit. Travailsuisse fordert daher, die Länge der Arbeitstage inklusive Tages- und Abendarbeit auf maximal zehn Stunden am Tag zu beschränken. Pro Tag soll noch maximal eine Stunde Überzeit erlaubt sein.

Bis heute sehe das Arbeitsgesetz maximale Wochenarbeitszeiten von 45 respektive 50 Stunden vor, kritisiert der Verband. Dies, während andere Länder längst die 42- oder 40-Stunden-Woche eingeführt hätten. Es brauche eine erhebliche Reduktion.

Die Arbeitgeberseite fordert, dass wir alle noch länger arbeiten sollen – das ist zynisch.

Der frühere Berner SP-Nationalrat Wüthrich warf der Arbeitgeberseite vor, das unternehmerische Risiko auf die Arbeitnehmenden abwälzen zu wollen. Forderungen von bürgerlicher Seite nach einer Lockerung der Regelungen zur Arbeitszeit erteilte er eine Absage.

Eine solche Politik verschliesse die Augen vor den gesundheitlichen Risiken: «Die Arbeitgeberseite fordert, dass wir alle noch länger arbeiten sollen – das ist zynisch.» Der Motor des Arbeitsmarktes laufe auf Hochtouren. Die Arbeitnehmenden würden auf Effizienz, Effektivität und maximale Flexibilität getrimmt.

In Umfragen gäben 40 Prozent der Arbeitnehmenden an, sie fühlten sich erschöpft, so Wüthrich. Als Gegenmassnahme verlangt Travailsuisse unter anderem mindestens sechs statt nur vier Wochen bezahlte Ferien für alle im Jahr, für Personen unter 20 Jahren deren sieben.

Zudem müssten Beschäftigte das Recht haben, ihr Pensum zu reduzieren, und mehr Einfluss auf die Festlegung ihrer Arbeitszeit erhalten. Heute sei es für viele kaum möglich, Kinder oder Angehörige zu betreuen, sich ehrenamtlich zu engagieren oder eine Weiterbildung zu absolvieren.

Nötig seien zudem Regelungen, die das Recht auf Erholung und Nicht-Erreichbarkeit in der Freizeit sicherstellten.

"Alle kennen jemanden mit Burnout"

Finden Sie heraus, wo Sie stehen

Im Tessin nimmt der Missbrauch von Psychopharmaka zu, sogar bei den Jungen. Sie sind auf Rezept erhältlich und machen süchtig.

Im Tessin steigt nicht nur der Konsum illegaler Drogen, es gibt auch mehr Missbrauch von Medikamenten, insbesondere von Benzodiazepinen, d.h. von Psychopharmaka. Ein besorgniserregendes Phänomen, denn zum einen entsteht dadurch ein Schwarzmarkt für Verschreibungen, zum anderen werden diese Medikamente auch Jugendlichen verschrieben und verursachen eine starke Abhängigkeit, die manchmal eine Diagnose erschwert.

Das Jahr 2022 stand im Zeichen des Endes der Pandemie. Vorrübergehend wurde damals die Geschäftsstelle von L'Ancora geschlossen. Der Verein mit Sitz in Lugano hatte insgesamt 43 Patienten, davon 80% Männer.

"Aus betrieblicher Sicht hat Covid keine grösseren Schwierigkeiten mit sich gebracht", erklärt Fulvio Pelli, Vorsitzender des Ausschusses der Vereinigung L'Ancora, in diesem Zusammenhang. "Nur mussten wir alle Patienten in einem Zentrum versammeln, statt sie auf zwei Zentren aufzuteilen". Dies ermöglichte es, bei Covid-Patienten einzugreifen und sie von den anderen Patienten zu trennen.

Das Therapiezentrum Villa Argentina beherbergt derzeit etwa 20 von maximal 25 Patienten, aber es sind vier Neuaufnahmen geplant. Das Tessin sieht sich neben der Zunahme des Crack-Konsums mit einem beunruhigenden neuen Trend konfrontiert: den Benzodiazepinen.

"Sie sind Anxiolytika", erklärt Mirko Steiner, Vorstandsmitglied der Vereinigung L'Ancora, "sie helfen der Person, sich zu entspannen, bekämpfen die Angst und sind sehr nützlich, wenn sie richtig verschrieben werden. Jedoch "werden sie gefährlich bei einer Einnahme über einen längeren Zeitraum, oder wenn die Menschen ihre Dosis erhöhen, indem sie sich die Substanzen nicht nur von einem Arzt, sondern von mehreren gleichzeitig verschreiben lassen".

Es besteht die Gefahr, dass ein Dickicht von nicht diagnostizierten Fällen entsteht, weil Benzodiazepine auf ärztliche Verschreibung erhältlich sind.

Offensichtlich kann diese Art von Medikamenten", so der Direktor weiter, "auch zur Beruhigung der Wirkung von z. B. klassischem Kokain eingesetzt werden". Aber das ist noch nicht alles: Es wird häufig zur Stressbekämpfung bei jungen Menschen und auch bei Frauen über vierzig verwendet, wo "Fallstudien zufolge ein grösserer Zugang zu dieser Art von Substanz besteht".

Sichtbare Symptome einer möglichen Abhängigkeit sind plötzliche Schläfrigkeit, verminderte Konzentrationsfähigkeit, verlangsamte Sprache und Bewegungen.

Medikamente gegen Stress

Junge Menschen wollen mehr Flexibilität bei der Arbeit

https://pilot-prod-videos.s3.eu-west-1.amazonaws.com/de/classic-magenta-squirrel_fr_DEEPGRAM-WHISPER.vtt

Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Videokonferenzen... Die Covid-Jahre haben unser Verhältnis zur Arbeit tiefgreifend verändert. Vorbei sind die Zeiten von "Pendeln, Arbeit, Schlaf". Junge Hochschulabsolventen streben nach einer besseren Work-Life-Balance, und immer mehr von ihnen wollen in Teilzeit arbeiten.

Mit ihrem Abschluss in der Tasche ist Aya auf der Suche nach ihrem ersten Job. Sie nimmt am Programm Jeunes@work teil, das Hochschulabsolventen den Einstieg ins Berufsleben erleichtert. Heute hat sie einen Termin mit ihrem Coach, um ihre ersten Bewerbungen und ihre Wünsche zu besprechen. "Mein idealer Job wäre es, einen neuen Sektor zu entdecken und dabei zwei halbe Tage in der Woche frei zu haben, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen", erklärt die junge Frau.

Das Gleiche gilt für Laetitia. Mit einem Bachelor-Abschluss in Sonderpädagogik würde sie gerne mit autistischen Kindern arbeiten, aber nicht unter irgendwelchen Bedingungen. "Ich möchte keine 100% haben, auch wenn das in der Sonderpädagogik eher selten ist. Vielleicht, weil wir wissen, dass es ein schwieriger Job ist: 100 Prozent zu geben, kann leichter zu Burn-out führen", sagt sie.

Sie fügt hinzu: "Ich glaube, wenn sich jemand Zeit für sich selbst nimmt, ist er auch besser in seinem Job. Was schwierig sein kann, ist das Image, das damit verbunden ist: Wenn man nicht 100 % arbeitet, kann man leicht als Faulpelz gelten, als jemand, der nicht gerne arbeitet".

Ein Trend, den Darryl Lüthi, Coach bei "Jeunes@work", bestätigt. "In den letzten fünf Jahren hat es einen Paradigmenwechsel gegeben. In der Vergangenheit nahm die Arbeit einen zentralen Platz im Leben eines Bewerbers/einer Bewerberin ein, und das Privatleben war auf die Arbeit ausgerichtet. Die Beschäftigung ist heute kein Selbstzweck mehr".

Das ist genug, um Unternehmen zu verunsichern. Die in Zürich versammelten Personalverantwortlichen erhalten einen Vorgeschmack auf die von "Universum" durchgeführte Umfrage unter 10.000 Hochschulabsolventinnen und -absolventen in der Schweiz. Die Studie unterstreicht ein klares Urteil: Um Talente zu engagieren und zu binden, brauchen sie Flexibilität und Unterstützung für ihre Leidenschaften ausserhalb der Arbeit.

"Flexibilität ist zu einem fast universellen Bestreben geworden, das durch die Covid-19-Pandemie noch beschleunigt wurde. Auch mehr Autonomie und Unabhängigkeit. Die Arbeitskultur in der Schweiz ist sehr KMU-orientiert, die Leute gehen ins Büro und halten sich an ihren Zeitplan. Diese Aspekte stehen heute im Widerspruch zu den Erwartungen der jungen Menschen und der Fachleute, denn während der Pandemie hat sich unser gesamtes Umfeld an diese Flexibilität gewöhnt", analysiert Leo Marty, Direktor von Universum Schweiz.

Dieses Bestreben wird auch von den Fachleuten geteilt. Das ist der Fall bei Xavier, einem 35-jährigen IT-Spezialisten, der in Genf lebt. Drei Jahre lang bat er seine Arbeitgeber 80 % zu arbeiten, ohne das der darauf einging. Schliesslich kündigte er. Aufgrund seiner Leidenschaft für die Fotografie und seines Engagements in Verbänden bewirbt er sich nur noch auf Teilzeitstellen.

"Ich erkannte, dass ich auch ausserhalb der Arbeit etwas erreichen wollte, und dass es schwierig war, dies zu tun, während ich fünf Tage die Woche arbeitete. Viele Menschen in meinem Umfeld haben einen Teilzeitjob, und ich habe den Eindruck, dass sie dadurch mehr Zeit für ihre eigene Entwicklung haben. Ich wollte die Zeit nutzen, um in die Fotografie zu investieren. Ausserdem habe ich das Glück, in einem gut bezahlten Sektor tätig zu sein, so dass ein 80 %-Job möglich wäre", sagt er.

Weniger arbeiten, besser arbeiten: ein Motto, das sich immer mehr durchsetzt. Laut einer Studie des Bundesamts für Statistik haben neun von zehn Hochschulabsolventinnen und -absolventen ein Jahr nach Abschluss ihres Studiums einen Arbeitsplatz, der ihrer Ausbildung entspricht.